In einer Werbebroschüre aus dem Jahre 1967 – noch vor der Umbenennung in „Heimkombinat – Kinderheim A. S. Makarenko“ – steht aufgelistet, was im Jahre 1949 seinen Anfang nahm: der Bau eines neuen Hauptkinder-heimes, das in der Königsheide im Jahre 1953 eröffnet wurde.
Der Beschluss zum Bau des Kinderheimes datiert laut Aktenzeugnissen bereits im Jahre 1946. Die Festlegung des Standortes erfolgte 1949. Bis zur Grundsteinlegung im Jahre 1952 sowie der Eröffnung des Kinderheimes im Jahre 1953 haben sich die Zeichen der Teilung Deutschlands und damit auch Berlins deutlich herauskristallisiert.
Das Areal umfasste 12 ha – das entspricht bis zu 17 Fußballfeldern. Ein weiterer Vergleich zur Vorstellung der Größe: Um nur einen Hektar vollständig abzulaufen, müsste ein Fußabdruck etwa 550.000 Mal im Gras hinterlassen werden.
Fünf zweistöckige Wohnhäuser, eine Schule, eine Krankenstation sowie ein Wirtschafts- gebäude mit Speise- und Festsaal sind errichtet worden. Später hinzu kamen noch ein Planschbecken, eine Turnhalle, eine Freilichtbühne mit 800 Plätzen sowie ein Betriebskindergarten und eine Tierparkanlage – alle im Heim haben daran mitgearbeitet im Rahmen des Programms des Nationalen Aufbauwerkes – NAW.
10 Millionen Mark – lautet es stolz in der Broschüre – sind für dieses Projekt investiert worden. Eine Summe, die in Zeiten nachkriegsbedingter Knappheit eine ungeheure Kraftanstrengung und Willensbekundung mit unterschiedlichen Dimensionen darstellte. Der jährliche Haushalt für die Unterhaltung des Heimes durch den Magistrat wurde mit 4,5 Millionen MDN (Mark der deutschen Notenbank) beziffert.
Die Berliner Zeitung vom 11. August 1953 schrieb über die neu entstehende „Kinderstadt“ mit den Wohnblocks, dem Wirtschaftsgebäude mit eigener Trafo-Station, einem Fernheizwerk, eigener Kläranlage, dem Ambulatorium mit anschließendem Säuglingsheim und eigener Schule im Mittelpunkt:
„Für jede Gruppe von 20 Kindern gab es künftig einen Tagesraum, vier bis fünf Schlafräume, ein Badezimmer mit Badewanne, Waschbecken und Toiletten. Das Haus I sollte drei- bis sechsjährige Kinder beherbergen, im Haus 2 sechs bis zehn-
jährige und im Haus 3 zehn bis 14-jährige Kinder und Jugendliche und im Haus 4 zehn bis 14-jährige, die über das Wochenende heimfahren können.“
Aber was bedeutete es, wenn man als Kind in die Königsheide kam und künftig unter mehreren Dächern mit bis zu 600 Kindern sein Leben verbrachte? Zeitzeugen haben zudem schon häufig von Mehrfachbelegungen berichtet. An Personal waren bis zu 300 Mitarbeiter im Einsatz.
Mit dem Einzug der ersten Kinder im Oktober 1953 gibt es dort alles, was das Herz für eine solche Einrichtung begehrt.
Angefangen von den Wohnhäusern mit Gemeinschaftsräumen, den umfangreichen Wirtschaftsgebäuden bis hin zum medizinischen Bereich, dem Ambulatorium, das vom modernsten zahnärztlichen Behandlungsstuhl bis zur Röntgenanlage mit geplanten regelmäßigen Reihenuntersuchungen nichts zu wünschen übrig läßt. Hinzu kommt eine Weitläufigkeit des Areals mit viel Grün und Fläche zum Austoben, was eine für Kinder und Jugendliche geradezu paradiesische Unterbringung bot.
Ein Großprojekt wurde lanciert und mit viel Einsatz – finanziell wie personell – gestemmt. Dem wurde auch optisch in Form von aufwändiger Kunstarbeit an den Fassaden sowie künstlerisch gestalteten Glasfenstern Ausdruck verliehen.
So sind auch viele Zeitzeugenberichte von Heimbewohnern der ersten Jahre geprägt von überwiegend positiven Erlebnissen – bei
aller Vielschichtigkeit, die ein solch großes Areal mit so vielen Menschen für den Einzelnen dennoch mit sich bringen konnte.
Der Stimmungston änderte sich mit den Jahrzehnten – so die Tendenz von hierzu befragten Zeitzeugen, die vor Ort zum Teil eine ambivalente und wechselhafte Zeit im Kinderheim erlebten.
Unsere vornehmlichste Aufgabe ist daher, weitere Recherchen und Zeitzeugenbefragungen zusammenzutragen, um Analysen möglich zu machen zu konkreten Ursachen für Verschiebungen in der Empfindung des Lebens und der Wahrnehmung der Atmosphäre in der Königsheide im Verlauf der Jahre und Jahrzehnte.
Von Beginn an wohnte diesem Großprojekt auch eine politische Dimension inne. Dies zeigte sich bereits noch vor seiner Eröffnung. Die ursprünglich vorgesehene Leitung des geplanten Kinderheimes in der Königsheide wurde kurzerhand ausgewechselt. Edith Donat leitete seinerzeit das Hauptkinderheim von Groß-Berlin in der Greifswalder Straße. Es war aufgrund der vielen Kriegswaisen hoffnungslos überfüllt. Bis zu 400 Kinder und Jugendliche waren in Berlin Kriegswaisen.
Sie war zurückgegehrt aus Skandinavien, wohin sie vor dem Nationalsozialismus geflohen war. Im Gepäck dabei hatte sie viel reformpädagogische Ideen und Ansätze. Und sie trieb entschlossen die Neuerrichtung eines großen Kinderheimes voran. Die Königsheide entstand unter ihrer Führung, die sie jedoch nicht mehr übernehmen durfte.
Während sie in den Schriftdokumenten der Planungsphase noch namentlich vertreten ist, bricht diese Kontinuität im bisher gesichteten Archivmaterial aprubt ab und die Stelle als
erste Direktorin wird nicht mit ihr besetzt. Noch vor Eröffnung des von ihr initiierten Großprojektes wurde ihre Personalie offenbar als nicht mehr pässlich befunden und statt dessen Günter Riese als Direktor eingesetzt. Eine charismatische Persönlichkeit, die Edith Donat schnell und über lange Zeit in Vergessenheit gerieten ließ.
Ein erster Blick in die Archive brachte zudem weitere erstaunliche Erkenntnisse zutage: So gab es hochinteressante Entwürfe vom Architekten Prof. Dr. Konrad Sage mit einer gänzlich anderen Anordnung und Aufteilung der Gebäude auf dem Areal. Mit kurzem Vermerk hinsichtlich „zu enger Kontakte in den Westteil Berlins“ wurde ihm das Projekt wieder entzogen und es kam zu der bis heute sichtbaren Struktur auf dem Gelände.
Ebenso war zu Beginn als Namensgebung „Kinderheim Johann Heinrich Pestalozzi“ vorgesehen – geplant als Hommage an den Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi (*1746 in Zürich). Er legte mit seiner sogenannten Anschauungspädagogik mit den Grundstein für die im 19. Jahrhundert entstandene Reformpädgagogik.
Diese Namensgebung verschwindet ebenso unvermittelt im Schriftverkehr – zumindest im bisher gesichteten – und es bleibt vorerst bei der neutralen Bezeichnung „Kinderheim in
der Königsheide“.
Die Umbenennung im Jahre 1968 in „Heimkombinat – Kinderheim A. S. Makarenko“ stellt eine weitreichende und symbolische Markierung im weiteren Geschehen des Heimlebens in der Königsheide dar, worauf an anderen Stelle noch eingegangen wird.